Zum sprachlichen Verständnis unserer Ortsnamen und ihrer Schreibungen


Bis ins 18. Jh. gab es keine „amtliche Schreibung" der Namen, ja kaum eine Schreibertradition. Es gab nur das mündlich überlieferte Klangbild des Namens, und jeder Schreiber musste das Gehörte nach bestem Können mit den Buchstaben des lateinischen Alphabets darstellen, das unserer Altsprache gar nicht angepasst war; denn es entsprachen den etwa 40 verschiedenen Lauten unserer Altsprache nur 20 verwendbare und 5 überflüssige Zeichen. Es konnte daher ein jahrhundertelang fest geprägtes Lautbild wie Ottakring, gesprochen odagrin, auf 216 verschiedene Arten geschrieben werden, oft wechselt die Schreibung sogar im selben Schriftstück. 
Nur eine gute Kenntnis der lebenden Mundart und ihrer Geschichte kann uns zum Verständnis der Absicht des Schreibers verhelfen.

Die alten Urkunden und Namen sind weder in der hochdeutschen Schriftsprache noch in einem „Dialekt" geschrieben, sondern in der österreichischbairischen Altsprache, die etwa bis 1750 auch Amtssprache war, seither aber schrittweise von der hochdeutschen Schriftsprache verdrängt wird. Heute lebt die Altsprache, als „Dialekt" gebrandmarkt, als Haussprache der Bauern. Diese Altsprache soll hier, soweit es für das Verständnis der Namen und ihrer Schreibung nötig ist, zur Darstellung kommen.

Grundlage des Lautstandes ist das Althochdeutsche, wie es sich im 7. Jh. durch die 2. Lautverschiebung aus dem Westgermanischen abgesondert hatte. Ostgermanische Spuren sind im Lautstand unserer Altsprache nicht erkennbar. Das Altbairische hatte zwar einige Besonderheiten, so war das lange 6 anders als im Alemannischen entwickelt, die Lautverschiebung war konsequenter durchgeführt, doch sind diese Unterschiede noch in althochdeutscher Zeit fast verschwunden. Doch schon im 13. Jh. wird eine kräftige Sonderentwicklung deutlich, die uns berechtigt, das Bairische (zwischen 1200 und 1700) als eine eigene, vom klassischen Mittelhochdeutsch verschiedene Sprache zu behandeln.

Früh, wohl schon vor 1200, ist der Übergang des kurzen a zu einem offenen Q-Laut eingetreten, doch wurde es stets als a geschrieben.

Das lange d und ä vor r und h wurden zu geschlossenem o, sie fallen mit kurzem o (in Ofen, Hof) zusammen und werden demgemäss auch oft als o geschrieben.

Der Umlaut des kurzen ä war geschlossenes e, das immer e (nie ä) geschrieben wurde (z. B. Gens für Gänse). Umlaut des langen d war ein überoffenes ä (wie englisch hat „Hut"), das jetzt wie helles a gesprochen wird. Für diesen Laut gab es kein Zeichen, er wurde aber fast immer durch Hilfsmittel kenntlich gemacht (4, k, d, 9, e), so daß kaum ein Zweifel aufkommen kann, ob dieser Laut gemeint ist.

Es gab zwei alte e-Laute, ein kurzes, das bei uns meist mit dem Umlaut-e (des kurzen ä) zu geschlossenem e wurde, und für das lange e einen offenen e-Laut. Geschrieben wurde für alle 3 Laute zunächst e, das geschlossene e wurde um 1500 manchmal 6 geschrieben, später fast regelmäßig als ö (z. B. Öckh, stölln für Eck, stellen). Die heutige Mundart verlernt den Unterschied der e-Laute; nur vor l ist er noch deutlich hörbar. Vor r ist das geschlossene Umlaut-e fast überall zu i geworden (fiati für fertig), was aber in den alten Schreibungen nie angedeutet wird. o-Laute hat es ebenfalls 2 gegeben, das kurze o war geschlossen, das lange 6 aber offen, noch heller als das ä. Es wurde dementsprechend auch meist a geschrieben (Astern für Ostern), ebenso kurzes o vor r (Art für Ort). Gegendweise wurde langes 6 zu ai, was sich in Schreibungen mit 6 (rot für rot, dorf für Dorf) widerspiegelt.

Kurzes i blieb i, in manchen Wörtern, so immer vor r und manchmal vor n und h, wurde ie gesprochen und geschrieben. Das lange i wurde vor 1200 ausnahmslos zu ei diphthongiert, ein Lautwandel, der sich von hier aus über das ganze Deutsche und bis ins Englische und Tschechische verbreitet hat.

Das Gleiche gilt für den Übergang des langen ü zu au; das kurze u blieb u, vor r (und manchmal vor n) wurde es zu ue. Sowohl die o- wie die u-Laute mussten vor i und j umlauten. Die kurzen Umlaute wurden anfangs nicht bezeichnet (man hatte kein Zeichen dafür). Die langen Umlaute wurden meist bezeichnet als 6, oe, ew, aw, aeu. Im 15. Jh. wurde ö zu e, ü zu i und äu zu ai, was in den Schreibungen bald zum Ausdruck kommt (Gressenberg für Größenberg, Reit für Reut).

Das Althochdeutsche hatte die Zwielaute ie, uo und seinen Umlaut üe, ie, heute ia gesprochen, wurde immer ie geschrieben, die schriftdeutsche ie-Schreibung für einfaches i (z. B. Wiese) kam nie vor. Der Umlaut üe wurde anfangs nicht gekennzeichnet, nach 1400 aber öfter als ie geschrieben. Dem ahd. uo entspricht im Altbairischen die Schreibung ue, die wahrscheinlich in ganz Niederösterreich zunächst als ui gesprochen wurde. Heute ist das ui nach Norden und Osten abgedrängt, sonst durch ua ersetzt. Vor n und m wurde ie und ue wie ean und oan gesprochen (Wean, Doana für Wien, Donau). Das oan war dem nasalierten oan aus ahd. -ein- gleich, daher wurde oft Tainau und Kainrat (statt Chuenrat) geschrieben (heute unsinnigerweise auch gesprochen). Eine weitere Zwielautreihe war ahd. ei, ou und dessen Umlaut öü. Das ei wurde seit etwa 1200 ai geschrieben und bis ins 15. Jh. wahrscheinlich ai ausgesprochen. Dann ist aber die bairische Aussprache oa allgemein geworden. Die Wiener Aussprache a für mhd. ei (brad für breit) kommt in den Schreibungen so gut wie niemals zum Ausdruck. ou wurde ursprünglich dem langen d-Umlaut gleich und meist auch so geschrieben (bgm, bam für Baum). Doch machte sich früh eine westdeutsche Gegenströmung geltend, die das au herstellte. Das gilt auch für den Umlaut öü, der anfangs zu 4 wurde (ha für Heu) aber weitgehend zu eu, ei rückgebildet wurde.

Schließlich gab es noch einen germanischen Zwielaut eu, der schon im Althochdeutschen in io und iu gespalten war. Das io stellt die Mehrzahl der heutigen ie, ia. Das iu war schon im Mhd. ein einfacher Laut (lang ü), der im Altbairischen vor 1200 zum Zwielaut wurde, geschrieben ew. Dieses ew wurde um 1500 zu oi und wird als solches seit dem 16. Jh. auch in Ortsnamen geschrieben (z. B. Langenlois). In der Schriftsprache ist es regelmäßig durch ie (tief) ersetzt, auch die Mundart hat es weitgehend durch ia ersetzt. Seit dem 16. Jh. wird auch häufig eo geschrieben, was der oberösterreichischen Aussprache entsprechen würde, die aber in Niederösterreich nie heimisch war (z. B. Leopoldsdorf, gesprochen Loipersdorf ).

Unter den Konsonanten hatte das r die merkwürdigsten Schicksale, die aber in den Schreibungen nicht immer nachweisbar sind. Heute ist r nur im Anlaut und vor Vokalen im Inlaut als Konsonant erhalten. Die Vokalisierung ist sicher schon Jahrhunderte alt, die Schrift nimmt davon keine Notiz, außer daß in tonlosen Silben r unberechtigt gesetzt wird. Wohl aber registriert die Schrift seit dem 15. Jh. das Verstummen des r vor n und l, manchmal auch vor s (Bernhart für Bernhart, Meser für Mörser, Edla für Erlach). Umgekehrt wird für Öden- häufig falsch Ehren- geschrieben.

Im ganzen Süden des Landes, einschließlich des Donautales, wurde wohl schon vor 1500 rt und rz wie st, bzw. sts ausgesprochen, wie heute noch im Salzach- und oberen Einstal (wiast für Wirt, heasts für Herz). Die Schrift hat diese „grobmundartliche" Aussprache nur selten registriert, im Gegenteil, sie hat berechtigtes rst, etwa in Forsthof, als rt verzeichnet (also Farthof). Einzelne Beispiele sind trotzdem erhalten, so ist der Waschberg bei Stockerau sicher ein alter Wartberg. Im Norden des Landes sind wieder um 1400 r und l gleich ausgesprochen worden. Bei Wiederherstellung des Unterschiedes sind viele Wörter und Namen falsch eingeteilt worden, so wurde aus altem Maurberg das heutige Mailberg. Vor l sind etwa seit dem 16. Jh. die hellen Vokale e, i, ä und ei „gerundet" (zu ö, ü und äu) worden. Nach den dunklen Vokalen o und u wurde l zu i oder ü. Die Schreibung hatte kein Mittel, das darzustellen, aber es kommt vor, daß im 16. Jh. für Poysdorf falsch Polsdorf geschrieben wird.

Die Zwielaute uo, ie und üe wurden vor l zu o bzw. ö. Nur im Enns- und Ybbstal ist diese Eigenheit noch erhalten, Flur- und Ortsnamen lassen aber erkennen, daß sie sich früher bis an den Wienerwald erstreckte (Wöllersdorf im Laabental aus Wielersdorf).

Vor n und m werden alle Vokale stark nasaliert und auch verändert (z. B. -ien zu -ean wie in Wean, Koanrod für Chuonrat, was dann falsch Kainrad geschrieben wird - schon um 1350).

Bei den Reibelauten ist hauptsächlich das Verhältnis von altem s zu lautverschobenem ß wichtig. Die Laute waren voneinander wesentlich verschieden und wurden bis etwa 1300 auch verschieden geschrieben (s und z, ß) und nie verwechselt. Nach 1300 wurde der Schreibbrauch unsicher, offenbar weil die Verschiedenheit beider Laute schwand.

Der Unterschied zwischen altem v und lautverschobenen ff mag etwa um dieselbe Zeit geschwunden sein, doch kommt das in den Schreibungen nicht deutlich zum Ausdruck. h und eh sind im Inlaut etwa nach 1500 stumm geworden. Vorher werden sie ziemlich scharf auseinandergehalten. w und j werden heute konsonantischer gesprochen. In der älteren Sprache wurde aber w wie heute im Englischen als u gebildet und wie u, uu geschrieben. Da u auch Zeichen für den v-Laut war, außerdem auch für kurzes und langes u und seinen Umlaut diente, ist die richtige Lesung oft nur dann möglich, wenn das Wort auch durch spätere Schreibungen und die heutige Aussprache gesichert ist. Für j wird in seltenen Fällen auch g geschrieben.

Auch die Verschlusslaute haben ihre Besonderheiten. Das Altbairische kannte keinen Unterschied zwischen b und p. Im Anlaut wurde meist p,. im Inlaut öfter b geschrieben, seit dem 14. Jh. mitunter auch w. Alphabetische Register reihen bis ins 18. Jh. p, b und w unterschiedslos an die 2. Stelle des Alphabets. Der Name Wopfing kommt auch in der Schreibung Bopfing und Popfing vor.

d und t sind in der Mundart mancher Gegenden noch heute verschieden, auch die Schreibungen trennen meist scharf, außer vor r, wo d und t schon im 12. Jh. nicht unterschieden werden (Traskirchen neben Draskirchen).

Auch g und k sind heute vor r und l zusammengefallen, sonst aber sind sie stets wesentlich verschiedene Laute geblieben. Das g ist zwischen Vokalen und im Auslaut seit dem 15./16. Jh. stumm, was die Schreibungen manchmal anzeigen. k wurde anfänglich immer eh, das meint die Aussprache kx, geschrieben. Im 15. Jh. wurde einfaches k geschrieben, im 16. Jh. aber wieder kh, vielleicht unter Einfluss der Tiroler Kanzlei Maximilians I., da in Tirol die Aussprache kx bis heute herrscht.

Im 14. Jh. fing man an, die tonlosen Silben nachlässig auszusprechen, was die Schreibungen deutlich verzeichnen. Der Name Engelschalchsdorf wurde nacheinander Engschesdorf, Entschesdorf schließlich Enzersdorf geschrieben. Die Silbe, auf ein tonloses a oder a reduziert, ließ sich nicht schreiben und wurde auf verschiedene Art falsch ergänzt. Kennzeichnend ist der Name Hadumaresdorf, den man später hoamasdoaf aussprach, aber Harmannsdorf schrieb. In anderen Namen ist die tonlose Mittelsilbe ganz verstummt, wie, in Anzbach aus alt Amizinesbach, Anzespach.

Schließlich bleibt noch ein für unsere Altsprache bezeichnendes Merkmal zu besprechen, der Sproßvokal zwischen r, l einerseits und Lippen- und Gaumenlaut andererseits. Man sprach und schrieb korib, doriff für Korb, Dorf, berig, kalich, kiriche für Berg, Kalk, Kirche. Diese Spracheigenheit hat sich in der Mundart des nördlichen Niederösterreich in weitem Umfang erhalten.

Damit wären die wichtigsten Merkmale unserer Altsprache dargestellt, soweit es zum Verständnis der urkundlichen Schreibungen nötig erscheint. Ich wiederhole noch einmal: Beim Lesen einer alten Schreibung muss man sich immer fragen, was für ein Klangbild der Schreiber mit dem untauglichen Mittel seiner lateinischen Buchstaben darstellen wollte. Beantworten kann das nur, wer die lebende Altsprache, die sogenannte Mundart, eingehend beherrscht. Um dieser Forderung nachzukommen, habe ich versucht, die altsprachliche Form der Siedlungsnamen zu verzeichnen. Nur die des Weinlandes (Viertel unterm Mannhartsberg) und der Umgebung von Wien kenne ich aus eigener Erkundung, meist aus der Zeit um 1900/10. Für die übrigen Landesteile war ich auf jüngere Quellen angewiesen, Dissertationen und Auskünfte von Schulen. Es hat sich leider herausgestellt, daß vielfach die alten Namensformen überhaupt verklungen sind. Die einlangenden Antworten waren überwiegend gut, einige leider auch unbrauchbar. ,Man möge mir also entschuldigen, daß bei den Altspracheformen keine Vollständigkeit erreicht ist.

Von einem Ortsnamenbuch erwartet man auch eine Deutung der Namen. Das vorliegende Werk beschränkt sich darauf, Deutungen nur den Sammelsiedlungen (Hauptstichwörter) beizugeben, für die Einzelhöfe folgt ein Sachwörterbuch am Schluss des Werks. Es werden nur sichere Deutungen gegeben, fragliche sollen späteren Sprachforschern vorbehalten bleiben. Es hat sich übrigens ergeben, daß in unserem Orts- und Flurnamenmaterial hunderte heute erloschener Sachnamen vorkommen, von denen meist auch die Bedeutung vergessen ist. Der deutsche Sprachschatz wird eine wesentliche Bereicherung erfahren.

Heinrich Weigl, Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich


© Michael Ambrosch 2009  -  Datum der letzten Bearbeitung / Aktualisierung: 24. Februar 2013