Der gotische ehemalige Annen-Kapellen-Karner |
Quelle: Kultur und Museumsverein Thaya |
Neben der Pfarrkirche in Münchreith a.d. Thaya (Bez. Waidhofen/Thaya), wenn man aus Süden auf der Straße sich nähert, steht heute ein kapellenartiger Bau mit einem gotischen Polygon, an dem abgeschlagene Strebepfeiler noch erkennbar sind. Die Lage einige Meter südwestlich von der Pfarrkirche zum HI. Bartholomäus und die hohe Proportionierung mit zwei Geschossen lassen an einen selbständigen Karner denken, als Vertreter des einstigen Friedhofs hier, wobei auch die alte Friedhofsmauer noch deutlich zu sehen ist. Die Gräber müssen im Mittelalter die Kirche umgeben haben, vor allem im Süden und Osten, denn der heutige Friedhof ist eine Verlegung anschließend in Richtung Westen.
Die heutigen drei Geschosse des Wohnhauses waren ursprünglich in den beiden oberen zu einem einzigen hohen Geschoss zusammengezogen gewesen, was die gotischen Fenster zeigten. An der sonnenseitigen Südwand dürften damals zwei Fensterachsen (wie heute) bestanden haben. Die Nordwand lässt die Zweigeschossigkeit der Erbauung an zwei Öffnungen noch feststellen: rechts unten zur Westecke führt der originale Abgang in den Beinraum des Karners. Er hat einen leicht giebeligen Sturz, mehr einen Bogen vortäuschend (ähnlich auch die anderen Öffnungen überwölbt) und führte über eine Treppe steil abwärts, was innen gleichfalls zu sehen ist. Etwa in der Mitte der Nordwand ist ein rechtwinkeliger Rahmen auszumachen - eher für ein (barockes) Fenster, denn für eine Tür zu hoch bzw. auch über der gotischen Zwischendecke liegend. Eine Zwischendecke sowie Zwischenwände verunstalten zur Zeit den einstigen schönen, hohen und hellen weiten Kapellenraum. Sein reiches Rippengewölbe ist ganz verschwunden, lediglich an der Westwand sieht man Spuren des halbkreisrunden einstigen Schildbogens) auf beiden Seiten; links dürfte ein kleines Kehlrippenstück als Spolie in Zweitverwendung in der Wand hinter dem Bogenstück eingemauert sein, das noch dazu einem Rippenstück im Lapidarium (auf
der Nordost-Kirchenmauer, auf alten Fotos) sehr ähnlich sieht, alles Zeugen der vielen Kriege und Zerstörungen. Der Halbkreisbogen statt eines Spitzbogens des einstigen Kapellengewölbe-Querschnitts verweist in die späteste Gotik. Historisch wird als Bauzeit der Annenkapelle immer der Anfang des 16. Jahrhunderts
angegeben 6), ein Weihedatum oder die Gewissheit des
Annen-Patroziniums sind nicht überliefert. Allgemein hatte die Verehrung der HI. Anna zu ebendiesem Zeitpunkt einen Höhepunkt erreicht. Im Waldviertel stellen frühere Kunstwerke die Tradition der Annenverehrung dar: aus freigelegten Wandmalereien in der Pfarrkirche zu Spital bei Weitra (zu Ende des 14. Jahrhunderts) sind Jesus - Maria - Anna noch "konzentrisch" aufeinander sitzend, wie eine archaische Muttergottheit, in einer Bildgeburt auseinander hervorgegangen, zu sehen (so auch die romanischen Madonnen; erst später sitzt oder steht das Jesuskind im Profil, gleichsam an einen Thron gemahnend). Am berühmtesten ist der von Jan von Scorel 1520 gemalte Altar der hl. Sippe im kärntnerischen
Obervellach.11) Den reinen Rundkarner (als Seltenheit) in Zwettl-Alte Propstei oder Friedersbach steht der einzigartige Apsidensaal als Karner mit Untergeschoss neben der Kirche in Unserfrau bei Weitra gegenüber.
17) Ihre weite Verbreitung kann ferner in einsamen Wäldern beim Begegnen eines "Anna-Bildbaumes" erahnt werden. 21) In Chammünster, in der bayerischen Oberpfalz, ist eine gotische Gruftkapelle, an ähnlicher Stelle wie in Münchreith, 1367 von den Rittern von Chamerau errichtet und lange benützt worden; auf der anderen Seite der Kirche befand sich bereits der romanische In Wartberg an der Krems in OÖ. steht eine spätgotische doppelgeschossige Beinhauskapelle, denn die hl. Anna war auch die "Patronin für eine glückliche
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ANMERKUNGEN 1. Den Herren Bürgermeister Direktor Karl Wanko, Diakon Franz Hadl, Norbert Jama sei für ihrer Unterstützung herzlich gedankt. - Wanko, Karl: 800 Jahre Karlstein an der Thaya. Teil 1. 1988, bes. 20, 28, 46 Hauser, 54, 58. - 2. Teil, 6 Hauser auf Karlstein, Schlosskapelle, 15, 17, 18, 20, 3032, 47/8. - 3. Teil, 27 Profanierung der Annenkapelle. - Zum Ortsbild und der beherrschenden Lage der Kirche bzw. Stift Garsten als "Münchreith": Bors Kurt: Neue Perspektiven zur Siedlungsgeschichte des nördlichen Waldviertels. Archäologisch-geographische Untersuchungen im Raum Raabs/Karlstein/Thaya. Studien und Forschungen aus dem NÖ. Institut für Landeskunde Band 25 (Wien 1998) bes. 142 (R 21), 164 Abb. 29. - Die hübsche Ortsansicht bei Wanko zit. 4. Teil hinterer Deckel. 2. Für Hilfe ebenso wie die Pläne ist OR DI. Hans Plach besonders zu danken. 3. Donin Richard Kurt: Die Bettelordenskirchen in Österreich (Baden bei Wien 1935) bringt viele profanierte Kirchen, die zu Wohnhäusern umgebaut worden sind. 4. Am Grundriss des Kellergeschosses gehört diese Nische nicht strichliert sondern durchgezogen. 5. Hinweis von Diakon Hadl. - Der Westschildbogen hat aber keine Rippen! 6. Dehio NÖ. 1. Nördlich der Donau (Wien 1990) bes. 766 (Bernd Euler). - Österreichische Kunsttopographie Bd. VI Waidhofen an der Thaya (Wien 1911) 35-7, bes. 37, Fig. 40 7. Wanko (wie Anm. 1) bes. 52 Abb. - Die beiden Wappen unten dürften zwei Frauen des Hans Hauser darstellen, das heraldisch linke ist Königsberg, wodurch sich auch erklärt, warum ein Königsberger auch Vormund des kleinen - hier letzten - Hauser war (zit. 54). 8. "... um 1500 von Hans von Matschach gestiftet, 1786 entweiht, 1787 abgerissen, noch als Bodenerhebung erkennbar". Seine Grabplatte am Pfarrhof vorhanden. Ein Baudatum wäre 1523. Vgl. Dehio wie Anm. 6,776, ÖKTV III Horn u.a. 9. Das Tumba-Hochgrab der Hofkircher wurde später zerlegt. Holzschuh-Hofer Renate: Studien zur Sakralarchitektur des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts in NÖ. (Maschr. gewi. Diss. Uni. Wien 1984) bes. 169-172, Abb. (Die Kirche ist nur teilweise abgetragen worden). - ÖKT VI (wie Anm. 6) 45 ff. 10. Zotti Wilhelm: Kirchliche Kunst in NÖ. Diözese St. Pölten. Bd. 1. (St. Pölten 1983) bes. Abb. 7. Engelsdorf-Kat. 1000 Jahre Kunst in Krems (Krems 1971) KatNr. 84, 89, 114, Abb. 24. - Als Zentren der Annenverehrung haben Wien 1. St. Anna und Annaberg zu gelten. 11. Kobalt Maximilian: Die Pfarrkirche St. Martin zu Obervellach (Kirchenführer, Eigenverlag, Pfarramt 1963) u.a. 12. Arbeitsberichte des Kultur- und Museumsvereines Thaya 3/4/1998, Waldkirchen, Kirche, 778, Anm. 144, 782 Farb Abb.. 13. Darauf sei besonders hingewiesen. Es kommen noch mehr vor. 14. Landlinger Probst Johannes: Waidhofen an der Ybbs (Kirchenführer o.J.) o.S. - 14. (die Unterkirche ist zweischiffig und hat Bandrippen). Hier ist auch Ort und Anlass, auf die Verwendung des Annenkarners währen des Protestantismus als Kirche für die wenigen Katholiken zu verweisen (Wanko wie Anm. 1, 2. Teil 17). Der "Heidentempel" beim Volk fälschlich "lutherischer Turm" (Landlinger zit. 14) war aber nur ein Rundturm in der Stadtmauer. 15. Kubes Karl: Zur "Kloster"-Anlage in: Kollegiatsstift Ardagger (hg. Th. Aigner Diözesanarchiv St. Pölten, 1999) bes. 251. 16. Arbeitsberichte ... Waldkirchen (wie Anm. 12) bes. 772 mit lit. - Als ein würfelförmiger Zentralbau, mit kleinem 5/8-Chörlein stellt sich die 1514 datierte St. Martins-Karner-Kapelle in Perchtoldsdorf dar. 17. Schober Paul OstR KR: Unserfrau. Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Geburt. Diözese St. Pölten, Bezirk Gmünd (Christliche Kunststätten Österreichs, Verlag St. Peter Salzburg, 1992) bes. 8 ff. 18. Birklbauer Herwig - Katzenschlager Wolfgang - Knittler Herbert: 800 Jahre Weitra (Weitra 1983) bes. 71/72, Abb. 69, 79; 309, 312, 314, Abb. 201. 19. Schmidt Leopold: Kunstwerke aus Kärnten als Zeugnisse mittelalterlicher Volksfrömmigkeit, in: Kärntner Kunst des Mittelalters, ... (Wien 1971) bes. 58 f. 20. Moser Franz: Heimathaus Stadt Museum Perg. (1997) bes. 9, Abb. hinten. 21. Österreich-Karte 1:50.000 Nr. 35, Königswiesen, von rechts 88 mm, von unten 173 mm; von rechts 55 mm, von oben 252 mm "Annabild". 22. 1250 Jahre Chammünster. Festschrift der Pfarrei (1989), Höpfl Josef: Der Karner von Chammünster, 27-34; Löhner Dieter: Die St. Anna-Kapelle, eine Stiftung der Ritter von Chamerau, 35-48, Abb. 23. Harter Josef: Die Karner, in: Christliche Kunstblätter 55 Jg., 1914, Nr. 12, 127-134. |
Zur Abrundung bzw. als Ergänzung der kunstgeschichtlichen Aussagen über die Annakapelle seien jene Textstellen aus der Dokumentation "800 Jahre Karlstein
a.d. Thaya", verfasst von Hauptschuldirektor Karl Wanko (in den Jahren 1988, 1989, 1992), angeführt, die sich auf dieses Bauwerk beziehen:
2. Teil, Seite 17 (von der Reformation bis Josef II.) Da Adam von Puchheim, Freiherr von Karlstein, 15761609, in der Pfarrkirche Münchreith keinen katholischen Gottesdienst zuließ, feierten die wenigen verbliebenen Katholiken ihre Gottesdienste in der Annakapelle neben der Kirche. Den oberen Stock dieser Kapelle bewohnte zeitweise der katholische Geistliche, weil auch der Pfarrhof in den Händen der Protestanten war. Um diese Kapelle befand sich zur damaligen Zeit der Friedhof, daher ist nicht auszuschließen, dass dieses Gebäude ursprünglich als Karner (Beinhaus) gedient hatte. 3. Teil, Seite 27 (Zeitraum 1790-1914) Das Bauwerk kam in den Besitz der Gemeinde und diente bis in die jüngste Vergangenheit als bescheidene Wohnung, zuletzt benutzt von einer bosnischen Familie. |
Quelle: Kultur und Museumsverein Thaya |
Datum der letzten Bearbeitung / Aktualisierung: 25. März 2005 |